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Kritiken

Herbst-Zweig

Kritik von Klaus Oberrauner
03.10. 2019

Sternstunden der Menschheit von Stefan Zweig

 / 02.10. 2019
Hapé Schreiberhuber

 liest Die Weltminute von Waterloo
 (1815 /1927)

Es war ein Oktobertag, da sich der Himmel nicht entscheiden konnte, mit dem Stricken der Wasserfäden aufzuhören. Der Nachtasphalt lag unter der Straßenlaterne wie frisch lackiert. Die Fassadenlichter glänzten wie von fern und ich folgte den wie bedächtig trippelnden Schritten, die dem Graben gewohntes Leben gaben. Ums Eck die Peterskirche. Erhaben lockte der Charme, schlank ihre geheimnisvolle Eleganz zwischen den heute noch mondänen Altstadtpalazzi.
 
So hineingepasst also, wie sich Stefan Zweig (1881-1942) in Wien nicht fühlen konnte. »Hier in Wien finde ich mich schwer zurecht. Ich passe nirgends ganz hinein und fühle mich auch nicht recht zuhause.« So öffnete sich der hier geborene Twen in einem Brief. Ein frühes Herbsteln. Im Mann mit dem großen Gespür für das Feine im Horizont. Es war noch etwas Zeit. Viertel vor. Ich öffnete die schwere Tür und verlor mich in andächtigen Gedanken, die so klein waren unter der kleinen barocken Pracht. Davor ein bescheidenes Plakat: In der Krypta wird aus den Sternstunden der Menschheit gelesen. Ende 1927 erschienen erstmals die historischen Miniaturen. Schon das Auseinandersetzen mit dem Geschehen eines Kontinents, dessen Schatz der Vielfalt Zweig so teuer war. Mit einem Denken, das nicht fassbar sein konnte. Zu schnell. Zu weit. Ein Visionär. Wie kann es auch besser gehen als mit dem Abtauchen und Aufzeigen. Die Pforte zur Krypta stand bereits weit offen. Hinab ins musische Himmelreich.
 
Unter der ganzen Peterskirche, deren Gründung man niemand Geringerem als Karl dem Großen nachsagt – einem der bedeutendsten inthronisierten Europadenkern, höhlt sich ein überbettendes Kreuzrippengewölbe. Vor bravgestellten einfachen Stühlen nichts weiter als ein ins Eck gebannter abgedeckter Flügel, ein schmaler hölzerner Biedermeiertisch auf umwundenen Füßen, ein halbvolles Glas Wasser im deutenden Licht eines Scheinwerfers. Eine Stimme erhob sich, tastete sich in den Raum und gemächlich wuchs man hinein. In ein Weltereignis, das mit dem Wörtchen Waterloo noch nachhallt, Begriff werden kann.  Hapé Schreiberhuber, oberösterreichischer Künstler sowie u.a. künstlerischer Leiter des Styraburg Festivals und der Kunstwochen in Steyr, eröffnete mit diesem Zweigschen Gemälde (Die Weltminute von Waterloo) der großen Schlacht um Napoleon Bonaparte, die einen nachhaltigen Auftakt für die Entwicklung und Ordnung im Europa des langen 19. Jahrhunderts lieferte und zugleich das Streben eines sich unbesiegbar fühlenden Despoten mit diesem Schlag zunichte macht. Kaum anschaulicher konnte Zweig den Wink des Schicksals eines großen Strategen zeichnen, der an der Pflichttreue und unabrückbaren Loyalität eines Gefolgsmanns scheiterte. Der Napoleon, der – am Rande gesagt – einen jungen Komponisten in Wien anfänglich so entflammte, dass er ihm kurzfristig seine Eroica widmete, ehe die Tyrannei diese fast automatisch wieder tilgte. Als die Schlacht geschlagen, die Totenstille und die entwaffnende Erschütterung den hörsamen Marschall Emmanuel de Grouchy (1766-1847) vor die redlosen Trümmern seiner Überzeugungen stellte, durchdrang von oben dumpfe Orgelmusik.
 
Die Faszination, wie Stefan Zweig die Miniaturen großer historischer Ereignisse zu kreieren wusste, trug mich durch die benetzte Kärntnerstraße zurück. Der Himmel hatte sich entschlossen, mit dem Regnen aufzuhören. Ein Blick auf den Stephansdom wirkte wie ein Ausrufezeichen dessen, wovon man aufgeladen: Was wir der Geschichte zu verdanken, was wir durch sie erlitten haben. Dass ein Sternenblick reicht, um die Dramen zu schaffen. Und ich wusste wieder, warum mich Zweig nicht loslässt. In diesem Herbst.
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Ziviler Ungehorsam
von Henry David Thoreau (1849)
Sylvana Obereigner-May, 10.01. 2019


Henry David Thoreau – vielleicht ein nicht allen geläufiger Autorenname. Oder doch?
„Ich ging in die Wälder, weil ich bewusst leben wollte. Ich wollte das Dasein auskosten. Ich wollte das Mark des Lebens einsaugen!” Dieses Zitat von Thoreau ist uns bekannt, denn es ist die Maxime der Schüler aus dem Film Der Club der toten Dichter, und wird bei jeder ihrer Zusammenkünfte feierlich vorgetragen.
Dass Thoreau für einige Zeit „in die Wälder ging”, hat aber auch mit seiner Ablehnung, seiner Kritik und dem Widerstand gegenüber den politischen Verhältnissen im Amerika des 19. Jahrhunderts zu tun.
In der Lesung Ziviler Ungehorsam gelingt es Sabine Haupt und Hapé Schreiberhuber eindrucksvoll , Thoreaus kämpferische Gedankenwelt zu vermitteln. Es ist dazu auch die Atmosphäre in der Krypta, die die Stimmen der Vorlesenden in ihrer Wechselwirkung und die Akkorde der Gitarre von dem Sänger und Songwriter Bernhard Moshammer besonders unterstreicht. Die anspruchsvollen Textpassagen sind umfangreich, man darf den Faden nicht verlieren, denn sie zeigen deutlich, dass vieles in die heutige Zeit passen würde, wo kritische Gedanken auch – oder besonders – vonnöten sind.
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Malte Laurids Brigge

von Sylvana Obereigner-May,
17.10. 2018
Szenische Lesung von Rainer Maria Rilke / 11.10. 2018

Ja, es ist möglich! Ist es möglich, sich einzulassen auf Rilkes Prosa, auf die Gedanken des Malte Laurids Brigge, der seine geschauten Bilder, seine Zweifel, seine Einsamkeit und Liebessehnsucht in seinen Aufzeichnungen an uns vorbeiziehen lässt?

Ja, Hapé Schreiberhuber macht es in seiner sprachgewaltigen Performance möglich!
Hapé gibt Brigge die nuancierte Stimme für all das Beobachtete, Armselige, Zweifelnde, Hoffnungsvolle, Lebendige und Morbide. Körper und vor allem die Hände sprechen mit, zeigen den Blick durch eine Scheibe, verbildlichen zwei gleiche-ungleiche Messerklingen, leuchten hervor beim Anzünden einer Kerze…
Rezitator und Brigge scheinen eins zu sein, daher ist auch die Auswahl der Textstellen stimmig und bietet die Freiheit, auch Rilkes Liebeslyrik einzusetzen, um Abelone als Symbolfigur aller Geliebten darzustellen.

Ja, die Violinistin Rusanda Panfili macht es mit ihrem virtuosen Spiel möglich!
Die Musik ist nicht Untermalung, sondern Teil einer Choreographie, die Rusanda Panfili zu Beginn aus dem Hintergrund noch wie aus einer anderen Welt hörbar macht. Dann aber ist sie auf der Bühne präsent – rhythmisch kraftvoll und ausdrucksstark auf ihrem Instrument - und verwandelt sich schließlich durch behutsam eingesetzte Interaktion in die angebetete Abelone.

Eine beeindruckende Performance im perfekt passenden Rahmen!

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